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Eine bewegte Geschichte

Das Sinfonieorchester Basel gibt es seit der Fusion des Basler Sinfonie-Orchesters und des Radio-Sinfonieorchesters Basel im Jahr 1997. Doch das ist nur die eine Geschichte. Denn zum heutigen Sinfonieorchester führt eine Orchestertradition, die vor mehr als dreihundert Jahren ihren Anfang nahm. Es ist eine Geschichte voller Höhen und Tiefen. Grosse Persönlichkeiten und künstlerische Ambitionen spielen darin eine Rolle, genauso wie Institutionen, Konzertsäle und Geld. Oft hat der Name des Klangkörpers gewechselt, und mehr als einmal musste eine Trägerschaft das Orchester abgeben. Aber das Ensemble selber ist – sieht man von der kurzen Zeit während der Helvetik ab – niemals von der Bildfläche verschwunden.

Zusammengestellt von Simon Niederhauser
 

1708

Siegel des Collegium Musicum

Die Abbildung zeigt einen Abdruck des Siegels des Collegium Musicum auf einem Vertrag von 1774. In der Mitte des Siegelabdrucks sind eine Violine und eine Oboe zu erkennen, die Umschrift lautet: COLL : MUSI : BASILIEENSIS : 1708

Vivaldi, Wein und Brot

Bereits 1692 hatten vornehme Basler Bürger zur Pflege der Vokalmusik ein Collegium Musicum gegründet. Doch schon nach wenigen Jahren scheiterte man an Geld- und Nachwuchsproblemen. 1708 wird ein Neustart gewagt. Der Schwerpunkt liegt nun bei der Instrumentalmusik, verbürgt sind Aufführungen von Stücken aus Antonio Vivaldis L’estro armonico. Das Collegium besteht aus Laienmusikern (‹Dilettanten›), die zur Unterstützung Berufsmusiker beiziehen. Letztere werden für ihre Dienste mit Brot und Wein aus den Kellern der Collegiums-Mitglieder entschädigt. Geprobt wird mittwochs von vier bis sieben an der Augustinergasse, die Mitgliederzahl beträgt stattliche zwanzig.

1752

Das Obere Collegium

Das Augustinerkloster befand sich seit 1528 im Besitz der Stadt Basel, welche es ab 1532 der Universität zur Verfügung stellte. In der Folge wurden dort Unterrichts- und Repräsentationsräume untergebracht. Im Bezug auf das (untere) Kollegium am Rheinsprung wurde das Gebäude Oberes Collegium genannt. Hier fanden bis 1826 die Konzerte des Collegium Musicum statt, ab 1752 im eigens für Konzertzwecke umgebauten ‹Prytaneum›, das bis zu vierhundert Personen Platz bot. Die Abbildung zeigt die Augustinergasse mit dem Klostergebäude um 1843.

Honoraires und ungezogenes Publikum

Mitte des 18. Jahrhunderts übernehmen einige energische Musikliebhaber das Collegium Musicum. Neue Noten und Instrumente werden angeschafft, und es gibt gelegentliche finanzielle Unterstützung durch die Obrigkeit. Gespielt wird ab 1752 in einem grösseren Saal, dem ‹Prytaneum› im Oberen Collegium der Universität. Das Orchester zählt bis zu vierzig Mitglieder, ein Drittel davon sind bezahlte Musiker. Durch die Einführung eines Abonnement-Systems mit freien Mitgliedern (‹Honoraires›) öffnet sich der Zuhörerkreis, die ‹Concerte› werden zu gesellschaftlichen Anlässen. Nicht immer benimmt sich das Publikum standesgemäss, wie der Satire Die Reise nach dem Concerte des Basler Schultheiss Emanuel Wolleb zu entnehmen ist: «Ich bin recht böse über die Ungezogenheit unserer Leuten. Es ist wahr, nicht der sechste Theil kommt der Musik zu Gefallen. Die Weibsbilder erscheinen, sich sehen zu lassen; die Mannsbilder, sie zu sehen.»

1783

Konzert des Collegium Musicum

Als Emanuel Burckhardt-Sarasin 1790 die Karikatur einer Aufführung des Basler Collegium Musicum zeichnete (‹ein liebhaber concert›), war er gerade mal 14 Jahre alt. Ziemlich respektlos machte sich der Teenager über den bürgerlichen Konzertbetrieb lustig: Die Zuhörer scheinen sich kaum für die Musik zu interessieren, und auch ihre Gesichter sind nicht gerade schmeichelhaft wiedergegeben.

Die Concertdirektion gibt den Takt an

Anfang der 80er-Jahre des 18. Jahrhunderts ist die finanzielle Lage des Collegiums einmal mehr prekär. Es braucht das beherzte Eingreifen von Musikliebhabern, um seinen Verfall abzuwenden. Die neue Leitung des Collegiums – sie nennt sich nun ‹Concertdirektion› – will das Niveau der Konzerte heben. Dies gelingt nur zum Teil, wie den Worten des Reiseschriftstellers Christian Gottlieb Schmidt zu entnehmen ist: «Viel Musik gab es hier in quantitate, nicht viel aber in qualitate, auch fanden die Herren und Demoiselles Musici nicht viel Aufmunterung in der Attention der Zuhörer, welche gröstenteils mit sehr vernemlicher Stimme sich unterredeten, oft so laut, dass die wenigen wahren Freunde der Tonkunst durch heftiges Pochen mit den Stöcken periodisch sich Ruhe und einige Stille verschaffen mussten.» Doch es gibt Fortschritte: Berufsmusiker sind nun mit einem Jahresfixum bezahlt und erhalten pro Konzert und Solo-Leistung zusätzliche Honorare.

1805

Johannes Tollmann

Johannes Tollmann (1777–1829) hatte als Orchesterleiter eine Ausstrahlung weit über Basel hinaus. Er galt als erster Musikdirektor der Schweiz und dirigierte sieben Mal das Schweizerische Musikfest. 1822 ernannte ihn die Schweizerische Musikgesellschaft zum Ehrenmitglied.

Mannheimer Wind

In der Folge der Helvetischen Revolution von 1798 musste das Collegium seine Konzerte einstellen. 1803 kommt es zu einem Neuanfang, und zwei Jahre später wird der Geiger Johannes Tollmann zum Orchesterleiter ernannt. Tollmann, der sich im legendären Mannheimer Hoforchester einen Namen gemacht hat, führt in Basel regelmässige Proben ein und bringt dem Publikum die Sinfonien Mozarts und Beethovens näher – gekürzt um jene Passagen, die er für das Publikum und das Orchester als zu anspruchsvoll erachtet. Das Orchester leitet er vom ersten Geigenpult aus. Dank Tollmanns exzellenten Verbindungen besuchen nun öfters grosse Virtuosen die Stadt. Ein Kommentar von Louis Spohr nach einem Gastspiel im Jahr 1816 zeigt aber, dass sich das Basler Orchester noch nicht mit jenen der grossen Metropolen messen kann: «Da das Orchester mit Ausnahme von 4 oder 5 Künstlern nur aus Dilettanten besteht, so war das Accompagnement meiner Solopiecen besonders von Seiten der Blasinstrumente fürchterlich. Wie ist der arme Tollmann zu beklagen, der solche Musik das ganze Jahr anhören muss. Und doch sollen, wie er behauptet, die Orchester in den übrigen Schweizerstädten noch schlechter sein.»

1826

Der Architekt Melchior Berri

Dem Architekten Melchior Berri (1801-1854) verdankt das Basel der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mehrere Monumentalbauten. Nebst dem Casino und dem Theater am Blömlein (siehe 1834) entwarf der renaissancebegeisterte Architekt auch das Museum an der Augustinergasse, in dem heute das Naturhistorische Museum domiziliert ist. Es steht an der Stelle des einstigen Oberen Collegiums, in dem das Collegium Musicum bis 1826 seine Konzerte veranstaltete.

Ein erstes Casino

Der Saal im Oberen Collegium genügt den gewachsenen Anforderungen nicht mehr. «Niedrig, schnell mit Dunst gefüllt, ist er oft zu klein und zwingt die Herren, stundenlang im Gedränge zu stehen; seine Bauart ist nicht akustisch, die Türe, dem Orchester sehr nahe, sehr störend, Treppe, Platz für Kleider und für Erfrischungen sind erbärmlich», heisst es 1822 in einem Subskriptionsaufruf für den Bau eines Casinos. Vier Jahre später ist der Wunsch Realität. Die Konzerte des Basler Orchesters finden fortan am Steinenberg statt, im Casino nach Entwürfen von Melchior Berri. Als Nachfolgerin des Collegiums und seiner Concertdirektion wird die Concertgesellschaft ins Leben gerufen.

1834

Das ‹Theater auf dem Blömlein›

Das neue Theater nach Plänen von Melchior Berri bot 1300 Personen Platz. Die Stadt Basel zählte damals 24000 Einwohner. Die Fotografie des Theaters entstand um das Jahr 1865, links im Hintergrund ist die kurz zuvor fertiggestellte Elisabethenkirche zu sehen.

Basel erhält ein Theater

Schräg gegenüber dem Berri-Casino entsteht 1834 das ‹Theater auf dem Blömlein›, ebenfalls nach Plänen von Melchior Berri. Schnell etabliert es sich neben dem Casino zu einem zweiten Zentrum der bürgerlichen Kultur. Für das Orchester wird das neue Theater zu einer wichtigen Konstante, zumal bereits in der zweiten Spielzeit mehr Opern als Schauspiele auf dem Spielplan stehen. Es dominieren, dem Zeitgeschmack entsprechend, Werke von Rossini, Donizetti und Bellini.

1839

Ernst Reiter

Ernst Reiter (1814–1875) wurde bei Louis Spohr (Violine) und Moritz Hauptmann (Theorie) ausgebildet und kam 1836 nach Basel. Vor seinem Engagement als Kapellmeister des Orchesters im Jahr 1839 war er bereits als Dirigent am Basler Theater tätig. Er trat nicht nur als Dirigent, sondern oft auch als Sologeiger und bei Quartettkonzerten als Primgeiger auf. Erfolge als Komponist feierte Reiter unter anderem mit seinem Oratorium Das neue Paradies von 1845. Ab 1845 war Reiter auch Leiter des Gesangvereins und ab 1852 Leiter der von ihm mitbegründeten Basler Liedertafel.

Anschluss an die grosse Musikwelt

Ernst Reiter, ein Schüler Louis Spohrs, wird 1839 Kapellmeister der Concertgesellschaft. Er führt 1853 erstmals in der Schweiz Beethovens 9. Sinfonie auf und ebenfalls in Schweizer Erstaufführungen Bachs Johannes- und Matthäuspassion (1861 bzw. 1863, die Matthäuspassion mit einem beeindruckten Johannes Brahms im Publikum). Auch die zeitgenössischen Komponisten – Spohr, Meyerbeer, Mendelssohn, Schumann – haben einen festen Platz in seinen Konzertprogrammen. In der 36-jährigen Ära Reiter wird Basel zu einer wichtigen Station für die grossen Virtuosen und Dirigenten der Zeit: Henri Vieuxtemps, Clara Schumann, Hans von Bülow, Anton Rubinstein, Joseph Joachim und Johannes Brahms sind regelmässig in der Stadt und treten solistisch oder mit dem Orchester auf. Basels Musikleben erlebt einen enormen Aufschwung.

1855

«Vue de la ville de Bâle et de ses environs»

Blick auf Basel gegen Mitte des 19. Jahrhunderts, festgehalten von Johann Ludwig Bleuer.

 

Der Capell-Verein

Das Orchester ist hinsichtlich Professionalität und Grösse inzwischen in der Lage, auch anspruchsvollste Repertoirewerke zu bewältigen. Noch nicht auf dem gleichen Niveau ist seine Trägerschaft. Mit dem Ziel, den Musikern ein festes Gehalt und den Orchesternutzern einen stabilen Bestand zu gewährleisten, wird 1855 mit dem Capell-Verein eine neue Orchesterträgerschaft ins Leben gerufen. Sie veranstaltet (vorerst) keine eigenen Konzerte, sondern vermietet das Orchester an die Nutzer: die Concertgesellschaft, die Gesellschaft des Sommercasinos, den Gesangverein, das Theater und das Casino.

1860

Die Martinskirche

Erstmals urkundlich erwähnt wird die Basler Martinskirche im 12. Jahrhundert, das Chorpolygon sowie die Nord- und die Südfassade sind in späte 14. Jahrhundert datiert. Wesentlich erneuert und umgebaut wurde die Kirche 1851. Hierbei wurde unter anderem anstelle des Lettners (Schranke vor dem Chor) eine erste Konzertbühne errichtet. Hier fanden von 1860 bis 1876 die Konzerte des Capell-Vereins statt. Die Martinskirche ist bis heute ein beliebter Konzertraum.

 

 

Konkurrenz und Dissonanzen

Die neue Orchesterträgerschaft (der Capell-Verein) ist schon bald nach der Gründung in finanzieller Schräglage. Zur Mittelbeschaffung veranstaltet sie ab 1860 eigene Konzerte in der Martinskirche, ebenfalls unter der Leitung von Ernst Reiter. Dies bedeutet zunächst eine Popularisierung des Konzertwesens: Während die Konzerte im Casino weiterhin nur den Mitgliedern der Concertgesellschaft zugänglich sind, kann für jene in der Martinskirche jedermann Eintrittskarten erwerben. Doch die Orchesterträgerschaft steht damit nun plötzlich in Konkurrenz zur wichtigsten Orchesternutzerin, der Concertgesellschaft. Die Atmosphäre in der Basler Musikwelt ist vergiftet, es kommt zu Misstönen und Machtkämpfen.

1867

Der Kammerton a'

Mit der Emanzipation der Orchester als eigenständige Klangkörper kam es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vielerorts zu einem inflationären Anstieg der Stimmung. Widerstand dagegen regte sich vor allem aus Sängerkreisen. 1859 legte die französische Regierung – angeregt unter anderem durch Gioacchino Rossini und Giaccomo Meyerbeer – den Kammerton a¹ per Dekret auf 435 Hz fest. In der Folge etablierte sich dieser ‹Diapason normal› in weiten Teilen des europäischen Musiklebens. Die Stimmung heutiger Sinfonieorchester mit modernem Instrumentarium liegt zwischen 440 und 443 Hz (Sinfonieorchester Basel: a¹ = 442 Hz)

Diapason normal

Die Basler Chöre, aber auch Solistengrössen wie Hans von Bülow und Clara Schumann beklagen sich über die hohe Stimmung des Basler Orchesters. Nach anfänglichem Widerstand wird 1867 die Stimmung an die französische Normstimmung, das sogenannte Diapason normal (a¹ = 435 Hz), angepasst. Die Umstellung macht kostspielige Neuanschaffungen bei den Instrumenten nötig. Ein Kredit und der Erlös eines Benefizkonzerts mit Schumanns Das Paradies und die Peri sichern die Finanzierung.

1874

Johannes Brahms in Basel

Johannes Brahms war in den 70er- und 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts in Basel der mit Abstand meistgespielte zeitgenössische Komponist. Er war mehrmals in der Stadt zu Gast, oft auf Einladung des Ehepaars Friedrich und Margaretha Riggenbach-Stehlin. Brahms trat insgesamt vier mal mit dem Basler Orchester auf: 1874 (mit dem Triumphlied), 1881 (u.a. mit seiner 1. Sinfonie und als Solist in seinem 2. Klavierkonzert), 1882 (mit der 2. Sinfonie und der Uraufführung der Gesang der Parzen) sowie 1887 (mit dem Doppelkonzert).

Brahms dirigiert, Nietzsche hört zu.

Am Jubiläumskonzert des Basler Gesangverein vom 9. Juni 1874 dirigiert Johannes Brahms im Basler Münster sein Triumphlied für Chor, Orchester und Solisten. Im Publikum sitzt der junge Basler Professor Friedrich Nietzsche. Der glühende Wagnerianer zeigt sich in einem Brief an einen Freund beeindruckt: «In der letzten Zeit war Dein Landsmann Brahms hier, und ich habe viel von ihm gehört, vor allem sein Triumphlied, das er selbst dirigierte. Es war mir eine der schwersten Gewissensproben, mich mit Brahms auseinanderzusetzen; ich habe jetzt ein Meinungchen über diesen Mann. Doch noch sehr schüchtern ...»

1875

Das Stadttheater von J.J. Stehlin

Das neue Stadttheater nach Plänen von Johann Jakob Stehlin d. J. wurde am 4. Oktober 1875 eingeweiht. Das im neobarocken Stil gehaltene Gebäude bot auf vier Rängen insgesamt 1600 Zuschauern Platz. Es war mit einem grosszügigen Foyer, modernsten Bühnenvorrichtungen und einer Lüftungsanlage ausgestattet. Das Theater brannte 1904 fast vollständig nieder, wurde jedoch wieder aufgebaut. 1975 musste es dem heutigen Theater weichen.

Erste Staatsbeiträge

Der Betrieb des Stadttheaters ist seit Jahren krisengebeutelt. In der Spielzeit 1859/60 musste der Betrieb vorübergehend eingestellt werden, 1873 kommt er ganz zum Erliegen. Für das Orchester bedeutet das empfindliche finanzielle Einbussen. Zwei Jahre später bringt ein neues und grösseres Theater den Neuanfang. Der Grosse Rat gelangt zur Einsicht, dass ein repräsentatives Theater einen geordneten Betrieb braucht. Er bewilligt dem Theater einen jährlichen Staatsbeitrag von 12000 Franken – unter der Bedingung, dass dieser dem Orchester für seine Theaterdienste zukommt.

weiter zu 1876 bis 1988

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