Revolutionäre Psychomusik

Werktext ‹Symphonie fantastique›

«Es gibt viel Neues zu schaffen, und ich spüre das mit einer ungeheuren Energie.» Voller Tatendrang begann Hector Berlioz Anfang 1830 mit der Arbeit an seiner ‹Symphonie fantastique›. Der junge Komponist kämpfte damals um Anerkennung in der Musikwelt, schon mehrmals hatte er sich vergeblich um den renommierten Rom-Preis beworben. Und er suchte verzweifelt nach Ablenkung von einer unglücklichen Liebe, die seit Jahren tief in seinem Innersten nagte.

Ein Foto von einem Bild des Malers Francisco de Goya mit dem Titel Hexensabbat aus dem Jahr 1798.

Hector Berlioz verarbeitet in seiner Symphonie fantastique eine unglückliche Liebe zu Harriet Smithson. Die fünf Sätze erzählen von Sehnsucht, Wahnsinn und Albträumen. Mit innovativer Instrumentierung und der idée fixe als Leitmotiv begründet Berlioz die Programmmusik der Romantik.

Seit Hector Berlioz die irische Schauspielerin Harriet Smithson in Paris als Ophelia in Shakespeares Drama Hamlet erlebt hatte, war er ihr mit Haut und Haaren verfallen. Doch die Angebetete ignorierte seine Avancen. Er beobachtete sie sehnsüchtig aus der Ferne und schickte ihr schwärmerische Botschaften – vergebens. Schliesslich gab ihm Smithson unmissverständlich einen Korb und verliess Frankreich. Mit einer autobiografisch gefärbten «fantastischen» Sinfonie versuchte der abgewiesene Verehrer daraufhin sein emotionales Gleichgewicht wiederzufinden, indem er seine «höllische Leidenschaft» in Musik verwandelte. Nicht zufällig trägt das Werk den Untertitel Episode aus dem Leben eines Künstlers.

 

Berlioz, Sohn eines Arztes, wurde 1803 am Fusse der französischen Alpen geboren. Er musste auf Wunsch des Vaters zunächst Medizin studieren. In seinen Anfängen als Komponist litt er lange unter der finanziellen Abhängigkeit von den Eltern. Mit der Sinfonie, die heute als Meilenstein in der Musik der Romantik gilt, gelang ihm ein regelrechter Befreiungssschlag. Das Werk, das in fünf Sätzen eine Geschichte erzählt, bereitete der Programmmusik als eigenständiger Gattung den Weg. Berlioz verfasste zu jedem Satz eine ausführliche Beschreibung, um dem Publikum sein, wie er es nannte, «instrumentales Drama» in allen Facetten nahezubringen.

 

Ein empfindsamer junger Mann verzehrt sich nach einer unerreichbaren Traumfrau (Rêveries, Passions). Er trifft sie auf einem Tanzfest wieder, wo sie ihn links liegen lässt (Un Bal), daraufhin sucht er auf dem Land vergeblich inneren Frieden (Scène aux champs). Dem Opium verfallen, wird er von düsteren Halluzinationen gequält – er glaubt, die Geliebte ermordet zu haben und zum Schafott geführt zu werden (Marche au supplice). Die Sinfonie endet in einem wilden Hexensabbat (Songe d’une nuit du Sabbat), wo das einstige Objekt seiner Begierde als schrille, bedrohliche Gestalt auftaucht. Berlioz verbindet den Tanz der Hexen mit Glockengeläut und einer Parodie auf das Dies Irae aus der lateinischen Totenmesse, das vom Jüngsten Gericht handelt.

 

In der Vorstellung des Künstlers erscheint die Geliebte stets in Verbindung mit einem musikalischen Leitmotiv – der sogenannten idée fixe, die sich durch alle fünf Sätze zieht. Carl Maria von Weber hatte dieses Prinzip zwar bereits in seinen Opern umgesetzt. Berlioz fand damit aber noch grössere Beachtung – er beeinflusste mit seiner idée fixe bedeutende Komponisten wie Franz Liszt und Richard Wagner. Beim Hexensabbat, wo sich Gespenster, Zauberer und Ungeheuer zur Totenfeier des Protagonisten versammeln, wird das zuvor liebliche Leitmotiv zunächst von der durchdringenden Es-Klarinette und dann vom ganzen Orchester grotesk verzerrt.

 

Auch mit der Instrumentierung setzte Berlioz eigene Zeichen. So liess er mit dem Divisi-Spiel der Streicher, bei dem mehrstimmige Passagen auf verschiedene Musiker*innen verteilt werden, für die damalige Zeit neuartige Klangeffekte entstehen. Und wie im Musiktheater wurde auch hier Musik hinter der Szene gespielt. Später konnte man dies auch bei Komponisten wie Gustav Mahler beobachten, der in seinen Sinfonien Ferninstrumente einsetzte.

 

Zu Berlioz’ grossen Vorbildern zählte Beethoven, dessen 6. Sinfonie mit dem Beinamen Pastorale seine Fantasie anregte. Die Scène aux champs beginnt mit einem friedlichen Zwiegespräch zweier Hirten, gespielt von Englischhorn und Oboe. Als die idée fixe jäh in diese bukolische Idylle eindringt, kippt die Stimmung. Unruhe kommt auf, Donner grollt, und in der Seele des Künstlers ziehen dunkle Wolken auf. Berlioz schöpft noch aus weiteren Quellen. Der letzte Satz ist durch die Hexenfeier in der Walpurgisnacht aus Goethes Faust inspiriert. Berlioz war fasziniert von dieser Tragödie, die sein Freund Gérard de Nerval ins Französische übertragen hatte. 1829 schrieb er daraufhin seine Huit scènes de Faust. Auch Thomas de Quinceys Bekenntnisse eines englischen Opiumessers, die kurz zuvor in der Übersetzung von Alfred de Musset erschienen waren, haben in der Symphonie fantastique offensichtlich Spuren hinterlassen.


Am 5. Dezember 1830 wurde die zukunftsweisende Sinfonie unter Leitung von François-Antoine Habeneck uraufgeführt. Zuvor hatte Berlioz mit der Kantate La Mort de Sardanapale endlich den ersehnten Rom-Preis gewonnen. Das Publikum im Pariser Konservatorium reagierte an dem Abend mit Begeisterungsstürmen. Seinem Vater schrieb Berlioz tags darauf, die Zuhörer hätten mit den Füssen getrampelt und eine Zugabe gefordert. Die Zeitung Le Figaro zollte ihm Respekt: «Monsieur Berlioz hat Wort gehalten: Seine Symphonie fantastique ist ein veritabler musikalischer Roman. Diese Komposition ist die bizarrste Monstrosität, die man sich vorstellen kann.» Andere Kritiker waren weniger wohlwollend – so warf ihm etwa der belgische Komponist François-Joseph Fétis vor, die Regeln zu missachten.

 

Harriet Smithson war bei der Uraufführung nicht anwesend. Berlioz’ unglückliche Liebesgeschichte fand dennoch ein Happy End. 1832 nahm die Schauspielerin eine Einladung zu einer Aufführung der Sinfonie an – und liess sich schliesslich von den Gefühlen des beharrlichen Verehrers berühren. Ein Jahr später feierten die beiden Hochzeit. Einer der Trauzeugen war Berlioz’ Freund Franz Liszt. Er erstellte im selben Jahr eine Klaviertranskription der Symphonie fantastique. Während die Sinfonie ihren Komponisten weiter durch sein Leben begleitete, ging die Ehe mit Smithson hingegen in die Brüche.

 

Autorin: Corina Kolbe

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